Día de los Muertos – zwischen Schleier und Salzlinien
31. Oktober. Die Welt kippt. Nicht laut, nicht sichtbar – aber wer genau hinsieht, spürt es. Die Schleier werden dünn. Die Luft hält den Atem an. Der Día de los Muertos beginnt nicht mit einem Fest, sondern mit einem Flackern: zwischen Leben und Tod, Erinnerung und Gegenwart.
Ich zünde Kerzen an. Nicht für die Stimmung. Sondern für sie. Die, die vor mir waren. Die, die mir noch immer nah sind.
Ein Fest mit doppeltem Boden
Der Día de los Muertos ist kein Folkloreevent. Es ist ein Schwellenritual, tief verwurzelt in den Knochen der Geschichte. Die alten Völker wussten, was wir verdrängen: Dass der Tod nicht das Ende ist, sondern eine andere Form von Gegenwart.
Die Göttin Mictecacihuatl wacht nicht als Symbolfigur über diesen Tag. Sie ist Gegenwart. Schattenkönigin. Sie erinnert daran, dass Ehrung mehr ist als Dekoration.
Die Ofrenda ist kein Altar. Sie ist ein Portal.
Ich baue meine Ofrenda nicht für Instagram. Sondern weil ich sie einlade. Meine Toten. Die Nahen. Die Schwierigen. Die Stolzen. Ich stelle Wasser hin, weil auch Geister dürsten. Salz, weil es schützt. Ringelblumen, weil sie leuchten wie Wegzeichen. Alles hat Bedeutung. Nichts ist Zierde.
Manche lächeln über „diese Bräuche“. Sie verstehen nicht, dass die Luft anders riecht, wenn man es ernst meint.
Ich feiere nicht. Ich erinnere.
Der Día de los Muertos ist keine Party für bunte Skelette. Es ist eine Rückkehr. Die Ahnen sind nicht weit weg. Sie gehen nur stiller. Und wenn ich lausche, höre ich sie.
Ihre Sätze in meinem Kopf. Ihre Fehler in meinem Blut. Ihre Kraft in meinem Rücken.
Würde statt Wellness
Dieses Fest ist kein Licht-und-Liebe-Event. Es ist roh. Wahr. Es geht um Verbindung, nicht um Stimmung. Um die Frage: Wem gibst du Raum in deinem Leben – auch nach dem Tod?
Ich stelle niemanden auf meine Ofrenda, der mich zu Lebzeiten gebrochen hat. Ich lade keine Energie ein, die ich nicht halten kann.
Und du?
Du brauchst keine große Zeremonie. Nur ein Bild. Eine Kerze. Einen Moment der echten Erinnerung. Kein Theater. Kein Posting.
Wenn du still wirst, wirst du merken, ob jemand kommt. Und wenn nicht: Auch das ist eine Antwort.
Fazit? Kein Fazit. Nur ein Echo.
Der Día de los Muertos ist kein Kalenderpunkt. Er ist ein Zwischenraum. Ich trete hinein. Mit Achtung. Mit Salz. Und mit der Gewissheit: Nicht alles, was gegangen ist, bleibt fort.
Einige bleiben. Still. Wahr. Und manchmal mit dem Duft von Tagetes in der Luft.